Vier gegen den Wind – das Radteam „Just breathe“ und ihr Ritt durch die „grüne Hölle“

Es hat fast etwas von Hollywood: da tritt ein kleiner Trupp von Radsportlern an, um unter widrigsten Bedingungen durch immer neue Probleme und Challenges trotzdem ans Ziel zu kommen. So geschehen am 22. und 23. Juli beim 24h-Rennen am Nürburgring in der Eifel. Die Akteure, ein bunter Haufen aus ganz Deutschland: Initiator und Rennleiter Reiner Heske aus Wiehl/NRW, 53, CF betroffen und lungentransplantiert, Extremsportler für Marathon und Radlangstrecke und als Sportbotschafter unterwegs für den Muko e.V. Raphael Stiefvater aus Östringen in Baden-Württemberg, 34, ebenfalls CF-Patient (und werdender Vater!), der deutschlandweit an Triathlons teilnimmt. Thomas Rack, 60, lebertransplantiert, ist eigentlich als „Rennvater“ eingeplant, fällt aber kurzfristig wegen Krankheit aus. Für ihn übernimmt Raphaels Bruder Lucas, 31, der an sich vom Mountainbiken kommt und der nun mit einem gänzlich unvertrauten Wettbewerbsformat konfrontiert ist. Denn die 26 Kilometer über den Formel1-Parcours haben es in sich und flössen auch routinierten Radrennfahrern Respekt ein. Bis zu 17% Steigung, 560 Höhenmeter und 100km/h Speed im der „Fuchsröhre“ sind bei diesem Rennen eine wahre Herausforderung, der sich heuer knapp 6000 Fahrer*innen aus ganz Deutschland stellen. Viele von ihnen werden beim Streckenabschnitt „Hohe Acht“ an ihre Grenzen kommen – und einen guten Teil des finalen Anstiegs schieben.

Das scheint für den Youngster im Team zunächst kein Problem zu sein. Der 18 Jahre junge Noah Glasstetter aus dem Würzburg zieht als Teamstarter in der ersten Runde am Feld vorbei und fährt erstaunliche 45 Minuten. Beachtlich, weil dies sein erstes Straßenrennen ist. Und noch beachtlicher, weil auch Noah Mukoviszidose hat. Stolz trägt er daher das Gruppentrikot, das er für das Team entworfen hat: neben den Schutzengelflügeln des Muko e.V. ist dort „Just breathe“ zu lesen. Ein Motto, das jeder im Team stolz auf der Brust trägt, um auf Organspende aufmerksam zu machen. Denn trotz medizinischer Fortschritte – gut sichtbar in den Leistungen von Raphael und Noah, die beide u.a. von Kaftrio profitieren – müssen viele Patient*innen noch immer lange auf ihre Transplantation warten … manche zu lange. Grund dafür: es gibt nicht genügend Spenderorgane. Deutschland bildet hier leider noch immer das Schlusslicht in Europa. Um das zu ändern, hatte Reiner Heske die Idee entwickelt, um mit der Aktion Aufmerksamkeit genau dafür zu wecken: „Wir möchten die Menschen mit unserer Geschichte erreichen, um die wichtigen Themen Organspende/Organtransplantation und das Leben mit einer seltenen Erkrankung in die Öffentlichkeit zu bringen.“ Und Noah ergänzt: „Ich fahre das Rennen nicht nur wegen der Platzierung, sondern gerade für die, die selbst nicht Radfahren können.“
Dennoch wird natürlich ordentlich in die Pedale getreten. Im steten Wechsel zieht das Team seine Runden in der „grünen Hölle“, wie der Nürburgring von den Formel1-Piloten genannt wird, übergibt immer wieder den „Staffelstab“, eine Radflasche mit Transponder. Nachdem auch Lucas, trotz Umstieg auf das Rennrad brilliert, und nachdem auch Reiner und Raphael super Zeiten fahren dann das nächste Handicap, ein Sturz direkt in Runde zwei. An einer Wasserstation wird Noah von einem anderen Fahrer touchiert und stürzt. Die Bilder seiner Helmkamera zeigen, wie das Streckenpersonal erschrocken aufspringt und auf ihn zu rennt. Ein Servicewagen ist sofort zur Stelle und bringt ihn und sein ramponiertes Rad zurück ins Fahrerlager. Diagnose: aufgeschürftes Knie, Oberschenkelprellung, zwei kaputte Speichen. Ein Schreckmoment auch für das Team: muss „Just Breathe“ das Rennen schon gleich zu Beginn beenden? Zum Glück lassen sich Mensch und Maschine gut „verarzten“, die Verletzung am Knie ist nur oberflächlich und das defekte Vorderrad wird von einem Aussteller schnell und unkompliziert ersetzt – das Team ist wieder im Rennen.
Richtig anstrengend wird es aber in der Nacht. In den Stunden zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang wird es still auf der Strecke. In den langgezogenen Kurven und Steigen, bei Abfahrten und an den Versorgungsstationen, überall zwischen Wald und Asphalt beleuchten winzige Lichtinseln den einsamen Kampf gegen Erschöpfung und Müdigkeit. Jeder und jede Einzelne kämpft hier auf jedem Kilometer, um dem inneren Schweinehund davonzufahren und die Runde zu beenden. Aber auch diese Klippe überwinden Reiner, Raphael, Lukas und Noah. Als die Sonne aufgeht, sind 12 Runden geschafft, die vier liegen in der Gesamtwertung im oberen Drittel, haben das Ziel ihrer Challenge fast vor Augen … bis plötzlich der Wind auffrischt und ein Sturmtief über die Höhenzüge der Eifel zieht. Böen mit Stärken von 60km/h fordern den Fahrer*innen alles ab, die nun bei den Abfahrten ihre Geschwindigkeiten reduzieren müssen, um nicht aus der Bahn zu fliegen. Dennoch passiert es: in der Nordkurve stürzt ein Fahrer schwer, das Rennen wird abgebrochen. Gottseidank kommt „Just Breathe“ noch gut über die letzte Runde, das Team fährt gemeinsam über die Ziellinie, stolz auf seine Leistung und zufrieden mit dem Ergebnis: 16 Runden durch die „grüne Hölle“, 9000 Höhenmeter, in einer tollen Zeit, als Botschafter für eine gute Sache – Sport und Mukoviszidose gehen gut zusammen, auch unter widrigen Umständen, vor allem in einem guten Team und einem starken Motto, das so nicht nur für Rennradler gilt: „Just breathe“.

Autor: Frank Findeiß // Fotos: Lindner/BR + Findeiß

P.S.: Das Rennen wurde vom Journalisten Josef Lindner vom Bayerischen Rundfunk per Video begleitet. Einen lebensechten Dreiminüter kann man daher hier nachsehen https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvLzMyN2VkNjM0LTllN2EtNDVhYS1iZTgzLTg1MzQ4ZWNkYTUwYg

// ab 7:55min

Herzlichen Glückwunsch von der Gruppe an Noah zu diesem großartigen Radrennen!


Hier eine Übersicht über weitere Berichte:

Mainpost: https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/trotz-mukoviszidose-18-jaehriger-wuerzburger-tritt-mit-dem-rad-zum-hoellenritt-am-nuerburgring-an-art-11190920

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